Wie vermutlich den meisten bekannt, finden im September 2023 Bürgermeister*innen-Wahlen in unserer Gemeinde statt.
Anlass genug für mich als Einwohnerin und seit 2019 Gemeindevertreterin, mir aus der Erfahrung heraus Gedanken darüber zu machen, was von einer Bürgermeisterin erwartet werden kann, muss und sollte, welche Kriterien für eine Entscheidung relevant sind und welche eher nicht.
Ich werde, soweit es möglich ist, die weibliche Form verwenden, um nicht durch das Gendern die Lesbarkeit zu beeinträchtigen. Alle, die sich nicht dem Weiblichen zugehörig fühlen, sind hoffentlich selbstbewusst genug, sich trotzdem angesprochen zu fühlen.
Wie oft stellt sich eine Einwohnerin wohl die Frage: „Ob das alles mit rechten Dingen vor sich geht?“ oder „Das erscheint mir wie eine Willkürentscheidung!“. Insbesondere in den Fällen, bei denen nicht dem eigenen Antrag entsprochen oder für einen anderen eine Entscheidung getroffen wird, die nicht dem eigenen Rechtsempfinden entspricht, tritt dieses Gefühl in den Vordergrund.
Selbstverständlich kann und muss erwartet werden, dass sich die Bürgermeisterin und ihre gesamte Verwaltung an geltendes Recht halten. Dieses gilt sowohl für die Wirkung nach Außen, also für Auskünfte, Anordnungen und Bescheide an die Einwohnerinnen, als auch nach innen, also z.B. personal-, arbeitsschutzrechtliche Maßnahmen.
Folglich hat die Bürgermeisterin dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeiterinnnen stets auf dem aktuellen Stand in Bezug auf Recht und Gesetz aber auch informationstechnischer Fertigkeiten gehalten werden. Motivation der Mitarbeiterinnen und Organisation regelmäßiger Aus- und Weiterbildung, Einsatz aktueller unterstützender Software, zusätzliche fachliche Befähigung für notwendige Vertretungsregelungen, um das stetig wachsende Arbeitsaufkommen bewältigen zu können – nicht zu unterschätzende Herausforderungen.
Die Aufgaben und Zuständigkeiten einer Bürgermeisterin sind in der Brandenburger Kommunalverfassung klar geregelt.
Ein neues Wohngebiet, ein Wohnpark mit x-Wohneinheiten soll entstehen. Der Investor hat sich bei uns vorgestellt und beantragt ein Bebauungsplan-Verfahren.
Statistisch lässt sich anhand der Anzahl und Größe der Wohneinheiten ermitteln, wie viele Singels, Senioren und Familien voraussichtlich in ca. 2 bis 3 Jahren in die Gemeinde ziehen wollen bzw. werden. Mit diesen Werten kann gearbeitet werden, denn es werden voraussichtlich y Kinder einen Betreuungsplatz benötigen, z Personen wollen ortsnah ärztlich betreut werden, die Einkaufs- und Freizeitangebote müssen für z Personen auf die verschiedenen Altersgruppen vorgedacht werden. Alles kein Hexenwerk.
Kinder, die gerade geboren wurden benötigen einen Kita-Platz, in 6 Jahren gehen sie in die Grundschule und 6 Jahre später sollen sie eine weiterführende Schule besuchen… alles, wenn auch nicht auf den einzelnen Platz genau, aber dennoch planbar.
Eine Bürgermeisterin sollte daher gemeinsam mit der Gemeindevertretung einen lang- und mittelfristigen Entwicklungsplan erarbeiten, der z.B. prognostische Statistiken über Einwohnerinnenzahlen, Alterspyramiden, Entwicklungstendenzen auf den Gebieten Energie und Umwelt aber auch Wirtschaft, Potentiale neuer technischer Entwicklungen etc. berücksichtigt.
Die Notwendigkeit des Auf- und Ausbaus der gemeindeeigenen Infrastruktur sowie die stetige Instandhaltung muss durch die Bürgermeisterin analysiert, ggf. notwendige Erweiterungen erkannt, mit der Gemeindevertretung geplant und umgesetzt werden. Dieses unterstreicht die Notwendigkeit einer langfristigen Planung.
Investoren, die auf unserem Gemeindegebiet Geld verdienen wollen, müssen sich angemessen an unserer Entwicklung, den quantitativ und/oder qualitätiv erhöhten Aufgaben der Gemeinde beteiligen.
Planvolles Herangehen birgt zudem den Vorteil, dass die durch die Ortsteile eingebrachten Wünsche und Bedürfnisse nach Abwägung im Entwicklungsplan auftauchen und jeder einzelne sich ernst genommen fühlt. Die Streitereien, alles bekommt immer Sperenberg oder Klausdorf, könnten beigelegt werden.
Das in der Vergangenheit oft erlebte sofortige Durchsetzen von Vorhaben hebt die Haushaltsführung aus den Angeln, geplante, teilweise bereits begonnene und oft notwendige Maßnahmen bleiben auf der Strecke und es entsteht der Eindruck des Stillstands, da personelle und finanzielle Ressourcen anderweitig, nicht zwangsläufig im Interesse des Allgemeinwohls, aufgebraucht werden.
Die Erwartung an die Bürgermeisterin ist daher, dass diese gemeinsam mit der Gemeindevertretung und in besonders relevanten Bereichen unter breiter Beteiligung der Einwohnerschaft einen Gemeindeentwicklungsplan erarbeitet, der sowohl die Instandhaltung und -setzung, die Sanierung und Neuschaffung der in der Verantwortung der Gemeinde liegenden Infrastruktur im weiteren Sinne beinhaltet und somit systematisch den bisher entstandenen Rückstau abarbeitet.
Das Leben in der Gemeinde und dessen Ausgestaltung spielt sich auf verschiedenen Beziehungsebenen ab. Für rein private Beziehungen zeichnet eine Bürgermeisterin glücklicherweise nicht verantwortlich. Etwas schwieriger ist die Beurteilung bereits bei Beziehungen zwischen verschiedenen Interessengruppen, z.B. Vereine oder altersspezifische Organisationsformen. Hier ergibt sich, bedingt durch die freiwilligen Aufgaben einer Gemeinde auch eine Beziehungsebene zwischen Verwaltung-Gemeindevertretung und Interessengruppen.
Es kann, schon bedingt durch die Individualität der Akteure und die Aufgaben, die diese auf der politischen, also auf der die Gemeinschaft betreffende Bühne wahrzunehmen haben, nie zu einem absoluten Einklang kommen. Von einer Bürgermeisterin sollte erhofft werden, dass sie durch einfühlsames Agieren und ehrliche Wertschätzung die Gesprächs- und Kompromissbereitschaft zwischen den verschiedenen Vertretern fördert und kultiviert. Das kostet viel Zeit und ein grundsätzlich unvoreingenommenes, dennoch planvolles Herangehen, eine „im Wege der vertrauensvollen Zusammenarbeit“ frühzeitige Einbeziehung in die Entscheidungsvorbereitung.
Das heißt nicht, dass jede für die Gemeinde zu treffende Entscheidung durch Bürgerbefragung vorbereitet werden sollte, denn ein derartiges Herangehen würde den Sinn der Gemeindevertretung als gewählte Vertreter der Einwohnerschaft in Frage stellen.
Über Vorhaben sollte rechtzeitig und in einer für die breite Bevölkerung zugängigen Form so informiert werden, dass die Einwohnerinnen die Möglichkeit haben, sich zu informieren, für sich abzuwägen und sich an der entscheidungsvorbereitenden Ausschussarbeit zu beteiligen.
Von der Bürgermeisterin ist also zu erwarten, dass
- entscheidungsrelavante Fakten langfristig zusammen- und zur Verfügung gestellt werden
- Hinweise, Bedenken, Vorschläge aus den verschiedenen Gruppen wertgeschätzt und im Interesses des Gemeinwohls abgewogen und begründet werden
- Möglichkeiten für die Unterrichtung der Öffentlichkeit genutzt und entsprechend der technischen Entwicklung ausgebaut werden
Wir haben uns so daran gewöhnt, unsere Wünsche und Bedürfnisse sofort durchsetzten zu wollen, dass wir den Blick auf die Gemeinschaft, unser Umfeld und damit das nachhaltige Miteinander oft nicht präsent haben.
Es sind im Normalfall auch nicht die Lautesten, die die Mehrheit unserer Gemeinschaft ausmachen.
Eine Bürgermeisterin hat im Interesse der Allgemeinheit zu agieren, also für alle Einkommensschichten, für alle Altersgruppen. Dabei ist es schwierig, nicht kommunizierte Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dennoch erlaubt der Blick auf die sozialen Strukturen einen Einblick in Befindlichkeiten und Handlungsfelder.
Die leisen und die lauten Stimmen gegeneinander abzuwägen, sinnvolle und zukunftsorientierte Entscheidungen vorzubereiten oder zu treffen und die entsprechenden Maßnahmen umzusetzten, braucht Zeit. Die Selbstverwaltung der Kommunen ist dabei an Regeln gebunden, die es nicht erlauben, ganz so frei und spontan z.B. in den Baumarkt zu fahren und Steine zu kaufen um einen Gehweg zu legen oder zu sanieren.
Spontane Entscheidungen können zu einer kurzfristigen Befriedigung der Wünsche einer Gruppe führen, aber auch langfristige, für die Allgemeinheit relevante Projekte ins Stocken geraten lassen.
Wir leben in einem Dorf und im Dorf unterhält man sich auch gern über die anderen. Das Klatschen und Tratschen gehört eben zu uns. *zwinker*.
Ob eine Bürgermeisterin Vegetarierin ist oder den Urlaub am liebsten am Ballermann verbringt, ob sie regelmäßig Sport treibt oder in ihrem Garten Biotope entstehen lässt, sagt nichts über ihr Engagement für die Gemeinde, ihre Einstellung zu den Einwohnerinnen und deren Bedürfnissen und auch nichts über ihre Eignung, Befähigung und Fachkompetenz zum Führen der Verwaltung aus. In der Verwaltungssprache sind o.g. Beispiele sachfremde Erwägungen. Allerdings hat die Einwohnerin nicht allzuviele Möglichkeiten in Erfahrung zu bringen, ob die Kandidatin die ihrer Ansicht nach notwendigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Ausfüllung des Amtes Bürgermeisterin mit sich bringt.
Ob eine Person ehrlich, selbst reflektierend, kritikfähig, entscheidungsfreudig, lösungsorientiert ist und sozial, gemeinschaftsfördernd denkt und handelt – schwer einzuschätzen, insbesondere, wenn man die Person nicht schon länger kennt. Aber genau diese Eigenschaften benötigen wir in unserer Gemeinde für eine auf das Gemeinwohl gerichtete Entwicklung.